Judith Kreuz, PH Zug
Checkliste "Gesprächskompetenz"
Auf den Punkt gebracht: Zusammenfassung sowie Tipps & Tricks für die Praxis
beMERKENswert No. 1: Nutze vielfältige Gesprächsanlässe, auch wenn du sie nicht geplant hast!
Gesprächsanlässe müssen nicht immer geplant und vorbereitet sein. Viel spannender ist es, Themen, die sich aus dem aktuellen Unterrichtsgeschehen ergeben, als echte Gesprächsanlässe zu nutzen. Das Unterrichtsgespräch kann sich dadurch aus dem “interaktionalen Gleichfluss” der üblichen “Frage – Antwort”-Sequenzen zu einer lebhaften Podiumsdiskussion entwickeln!
Bei schulpädagogischen und grundschuldidaktischen Forschungen konnte beobachtet werden, dass bei einer solchen Diskussion oft sog. “interaktionale Verdichtungen” entstehen (Krummheuer & Brandt 2001, S. 56), bei denen die Kinder plötzlich Interesse an einem (fachlichen) Thema entwickeln und anfangen, angeregt untereinander zu diskutieren. Es konnte weiterhin beobachtet werden, wie die Schüler:innen dann förmlich um Argumentationsanteile ringen (Höck 2015, S. 133).
Bei solchen Argumentationen sind die Kinder vor höhere Anforderungen inhaltlicher und argumentativer Art als im dyadischen Klassengespräch gestellt. So müssen sie z.B. (eigenständig) einen fachlichen Inhalt erfassen und diesen durch eigene Argumente überzeugend darlegen. Hinzu kommt die erhöhte Aufmerksamkeit für die Beiträge der anderen Kinder, um eigene Meinungen daran anzuknüpfen oder sie zu widerlegen. Durch den hohen Partizipationsgrad und die intrinsische Motivation der Schüler*innen stellen interaktionale Verdichtungen eine kollektive Lernsituation für fachliches und sprachliches Lernen dar – und dies “ganz nebenbei”!
In anschliessenden Reflexionsrunden empfiehlt es sich, das Gespräch sowie das Gesprächsverhalten der Kinder nochmals zu thematisieren und “Lernen” damit explizit zu sichern.
Quellen:
Höck, G. (2015). Ko-Konstruktive Problemlösegespräche im Mathematikunterricht. Eine Studie zur lernpartnerschaftlichen Entwicklung mathematischer Lösungen unter Grundschulkindern. Münster, New York: Waxmann.
Krummheuer, G. & Brandt, B. (2001). Paraphrase und Traduktion. Partizipationstheoretische Elemente einer Interaktionstheorie des Mathematiklernens in der Grundschule. Weinheim: Beltz.
beMERKENswert No. 2: Überlege dir motivierende und lebensnahe Themen für Gesprächsaufgaben!
Über “Schuluniform – ja oder nein” diskutiert heute wohl niemand mehr gerne. Versuche für geplante Gesprächsanlässe stattdessen Themen aus der Alltagswelt der Kinder zu finden – am besten bringen die Kinder diese selber mit!
Sie können z.B. überlegen, wann sie zu Hause das letzte Mal gestritten haben:
Worum ging es da?
Welche Meinungen prallten dabei aufeinander?
Oder sie denken an ein Verbot im Elternhaus oder ihrem Kulturkreis:
Warum ist dieses (nicht) gerechtfertigt?
Was denken die anderen Kinder dazu?
Oder sie denken an ihren Geburtstag, die Ferien oder das “Kindsein” in der heutigen Welt:
Was empfinden sie als unfair?
Was sind ihre (un)erfüllten Wünsche?
Warum bleiben diese (un)erfüllt?
Mit älteren Kindern lässt sich gut und gerne auch über gesellschaftspolitische Themen diskutieren. Vor allem in der Schweiz gibt es ja oft genug Gelegenheit dazu 😉.
Durch den Einbezug authentischer und motivierender Themen werden die Interessen und Fragen der Schüler:innen aus ihrer eigenen Lebenswelt berücksichtigt. Es liegt nahe, dass man über solche Themen viel lieber und engagierter spricht als über Themen ohne Bedeutung. Die Kinder werden also dazu angeregt, zu diskutieren – denn schliesslich: Gespräche führen lernt man, indem man Gespräche führt (“Die Sprachstarken”, Kommentarband (Zyklus 2), 2016. S. 174).
Die Schüler:innen fühlen sich bei Gesprächen über lebensnahe Themen zudem ernstgenommen und erfahren sich als selbstwirksam. Das Ziel sollte darin bestehen, den Schüler:innen das Argumentieren als kommunikatives Mittel näherzubringen, das sie im täglichen Leben benötigen (Spiegel 2006, S. 63) und anwenden können.
Vgl. auch das Kriterium “Lebensweltbezug” bei sog. “reichhaltigen Aufgaben” zur Förderung (über)fachlicher Kompetenzen (vgl. Zusammenfassung z.B. PH Bern, 2020)
Quellen:
Lindauer, Th. & Senn, W. (2016): Die Sprachstarken. Deutsch für die Primarschule 6. Klasse. Kommentarband. Zug: Klett & Balmer Verlag.
PH Bern - Institut für Weiterbildung und Medienbildung (2020): Was sind reichhaltige Aufgaben? Verfügbar unter: https://www.phbern.ch/media/17643/download (verifiziert am 19.02.22)
Spiegel, C. (2006). Argumentieren lernen im Unterricht. Ein funktional-didaktischer Ansatz. In E. Grundler & R. Vogt (Hrsg.), Argumentieren in Schule und Hochschule. Interdisziplinäre Studien (S. 63–76). Tübingen: Stauffenburg.