Lee Müller, PH Zug
Komplexe Beziehungsarbeit: Kommunikation in Elterngesprächen
Die Beziehungsarbeit und Kommunikation mit den Eltern ist sehr komplex und oft ein grosser Unsicherheitsfaktor für (angehende) Lehrpersonen. Der folgende Fachtext bietet weiterführendes Hintergrundwissen und gibt Einblick in die Forschungsdiskussion rund um Gespräche mit den Angehörigen.

Durch die engere Zusammenarbeit und die geteilte Verantwortung für die schulischen Biografien der Kinder sind Ansprüche an Lehrpersonen bezüglich Elternarbeit differenzierter und anspruchsvoller geworden: Viele Angehörige möchten mitreden können, sodass sich die Kommunikation zwischen Schule und Eltern verändert hat. Wie dies in der Praxis konkret passieren kann, illustrieren die folgenden Beobachtungen aus der Gesprächsforschung.
1. Die Gesprächskonstellation
In einem ersten Schritt sollte man die Zusammensetzung der Gesprächsteilnehmenden näher betrachten. Neben der Lehrperson und den Eltern sind im deutschsprachigen Raum oftmals auch die Schüler:innen Teil des Gesprächs. Es wird daher nicht nur mit ihnen, sondern auch über sie gesprochen, was zu Herausforderungen und Widersprüchlichkeiten führen kann. Des Weiteren ist das Elterngespräch an einer Schnittstelle zwischen institutioneller und privater Unterhaltung anzusiedeln: Obwohl das Gespräch im schulischen Umfeld stattfindet, weist es durchaus auch Elemente aus dem ausserschulischen Bereich auf, dies kann zu kommunikativen Herausforderungen aller Parteien führen. Anspruchsvoll sind zudem Gespräche mit Eltern mit Migrationshintergrund, bei denen nicht selten die Schüler:innen als Dolmetscher:innen fungieren, was zusätzliche Interessenskonflikte verursachen kann.
2. Die Beziehungs- und Identitätsgestaltung
Die wechselseitige Beziehungs- und Identitätsgestaltung ist Bestandteil jedes Gesprächs und wird von den Teilnehmenden laufend bearbeitet. Auffällig bei Elterngesprächen ist die Bemühung um eine "lockere" Atmosphäre. Bei Begrüssung und Beenden des Gesprächs greifen die Beteiligten oft auf humoristische, informelle Sequenzen zurück. Dies kann als sogenanntes "face work" bezeichnet werden: Man versucht mithilfe sprachlicher Strategien wie des Einsetzens von Humor, das Gesicht des Gesprächsteilnehmenden zu wahren und beispielsweise heikle Situationen durch eine solche Beziehungsarbeit zu entschärfen. Auch wenn eine Schülerin oder ein Schüler beispielsweise besonders schlechte Noten in Mathematik schreibt, kann die Lehrperson durch vage Formulierungen die Thematik etwas umschiffen (Beispiel: "ja, Mathematik ist so ne Sache, das ist für viele Schüler:innen schwierig"). Da in einem Elterngespräch aber oft festgelegte Ziele erwünscht sind, widerspricht dies dem eigentlichen Zweck und kann zu Disputen führen. Aus kommunikativer Sicht ist dadurch jedoch ein gewisses Symmetriestreben zwischen den Teilnehmenden zu beobachten, bspw. wenn sich Lehrpersonen in die Situation der Eltern versetzen können und verständnisvoll reagieren.
3. Die Bewertung
Die Bewertung ist als Kernaktivität der Elterngespräche zu nennen. Eine negative Beurteilung einer Schülerin oder eines Schülers ist besonders schwierig. Lehrpersonen greifen daher häufig auf verschiedene "Verfahren konversationeller Indirektheit" zurück, beispielsweise Litotes-Konstruktionen (eine Leistung wird statt "schlecht" als "nicht so gut" bezeichnet), Aussagen, die negative Beurteilung implizieren (z.B "er ist ein stiller Schüler") oder wie bereits erwähnt mithilfe einer humoristischen Rahmung. Weiter werden Beurteilungen oft relativiert, man spricht in diesem Fall von einem situativen und daher nur vorläufigen Leistungseinbruch, von fehlender Motivation (statt fehlender Intelligenz) oder verweist auf widrige Lernumstände. Auch die Eltern leisten einen Beitrag zur Beurteilung ihres Kindes: Studien aus den USA zeigen, wie sich Eltern als "kompetente" Eltern darstellen, in dem sie die Leistungen des Kindes kritisch einschätzen und aufzeigen, welche Unterstützung sie vornehmen - das wirkt entlastend für heikle Gesprächssituationen und die Lehrperson selbst.
4. Die Selbstbeurteilung
Sind die Schüler:innen selbst Bestandteil des Gesprächs, ist es wünschenswert, dass sie sich einbringen und Selbsteinschätzungen vornehmen können. So können Differenzen bezüglich Fremd- und Selbstwahrnehmung objektiviert werden. Allerdings stellt dies hohe kommunikative Ansprüche an die Schüler:innen. Oft sind Schüler:innen mit einem Selbsturteil überfordert, indem sie stattdessen Fremdbeurteilungen anführen, wie etwa "im Wochenplan steht, dass ich mich wenig melde". Es wird hier weniger von einer persönlichen Perspektive der Schülerin oder des Schülers ausgegangen, sondern eher von der Fremdbeurteilung durch die Lehrperson, die die Rahmenbedingungen vorgibt. Schüler:innen müssen also gefördert werden, indem sie Fremdbeurteilungen antizipieren und ihre Selbstbeurteilungen reflexiv anpassen können.
Die untersuchten Beispiele haben aufgezeigt, wie komplex ein Elterngespräch ablaufen kann und mit welchen Techniken Lehrpersonen arbeiten. Mithilfe der Einsichten aus der Gesprächsforschung können zwar keine allgemeingültigen Tipps abgeleitet werden, aber mit dem Wissen über die genannten Anforderungen, die sich in einem Elterngespräch ergeben, können Lehrpersonen besser und situativ angemessen reagieren. Viel Glück!
Quelle:
Mundwiler, Vera / Hauser, Stefan (2020): Schule und Eltern im Gespräch - Erkenntnisse aus der Angewandten Gesprächsforschung. In: Huber, Stephan (Hrsg.): Jahrbuch Schulleitung 2020. Impulse aus Wissenschaft und Praxis. Schwerpunkt: Eltern und Schule. Köln: Carl Link.